N.: Sehr geehrter Herr Kauffmann, in Zeiten angespannter öffentlicher Kassen bangen kulturelle Einrichtungen um ihre Finanzierung – besonders diejenigen aus den Haushalten der Länder und Kommunen. Gleichzeitig verharrt das Kultursponsoring bundesweit bei rund 400 Millionen Euro pro Jahr, während sich das Sportsponsoring ungebrochen und von Dopingskandalen unbeeindruckt gleich- bleibender Beliebtheit erfreut. Die Stiftung, der Sie vorstehen, wird in Gänze vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) finanziert, der ja auch Eigentümer des Schlossensembles ist. Sie scheinen eher gelassen in die Zukunft zu sehen. Können Sie uns sagen, was die Grundpfeiler des Erfolgs der Stiftung Schloss Neuhardenberg sind?
K.: Ja, man darf, glaube ich, durchaus von »Erfolg« sprechen. Die »Grundpfeiler« für die relativ große Akzeptanz liegen einzig und allein darin, dass wir versuchen, ein Programm zu entwickeln, das die Menschen interessiert, das sie dazu bewegt, zu entschleunigen, eine Stunde Fahrt in die »Entlegenheit« auf sich zu nehmen, um an etwas teilzunehmen, das neugierig macht und das in seiner Qualität überzeugt. Vermutlich liegt es auch daran, dass wir immer wieder Produktionen anbieten, die anderwärts nicht zu sehen, zu hören und nachzuempfinden sind. Und was meine Gelassenheit betrifft, so gründet diese schlicht und einfach in einem ungebrochenen Vertrauensverhältnis zum Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) und seinem Präsidenten. Und Vertrauen begründet bekanntlich Gelassenheit, Unaufgeregtheit, verantwortete Freiheit und eine künstlerische Qualität, die nie den selbstgesetzten Maßstab unterläuft.
N.:Die öffentliche Förderung in Deutschland ist nicht die einzige Finanzierungsform für Kulturanbieter. Ergeben sich aufgrund der finanziellen Rückzugstendenzen von Ländern und Gemeinden Ihrer Auffassung nach auch Chancen für Kulturanbieter, sich verstärkt nach anderen Einnahmemöglichkeiten umzusehen und wenn ja welche könnten dies sein?
K.: Ich kenne kein einziges Jahr, in dem diese Gefahr nicht in schöner Regelmäßigkeit und mit gebührender Aufgeregtheit heraufbeschworen wird. Natürlich wird dieLageprekärer.Goethes »Faust« läßt grüßen: »Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr«. Ja, manchen kulturellen Institutionen geht es wirklich an den Kragen. Aber den Untergang des Abendlandes, das Menetekel der Katastrophe, sehe ich nun wirklich nicht an die Wand geschrieben. Da macht mir die mentale Verfasstheit der deutschen »Erregungsgesellschaft« schon mehr Sorgen. Aber in manchen Städten wird die Lage wirklich ernst, wenn ich zum Beispiel an Bonn und an andere Kommunen im Ruhrgebiet denke. Also: Insgesamt betrachte ich die Lage als ernst, aber nicht als hoffnungslos, und ich drehe den Satz bewußt nicht um, und sage: »Hoffnungslos, aber nicht ernst«. Andererseits: Wie heißt es bei Hölderlin: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!« Wenn Sie zu anderen Nationen schauen, dann geht es der Kultur in dieser Republik immer noch verdammt gut. Und was die von Ihnen sogenannten »Chancen« betrifft, so würde ich diese eher als die unheiligen Brüder »Not und Zwang« bezeichnen. Denn die »Kulturanbieter« – was für ein merkwürdiger Begriff – sind doch vielfach nolens volens dazu gezwungen, sich zum Überleben nach anderen Einnahmemöglichkeiten umzusehen und das ist schwer genug. Nicht nur im Kulturbereich, sondern zuweilen auch im Wissenschaftsbereich ist ihr Tun ja zwanghaft
damit verbunden, den nicht ausreichen- den Haushalt durch die Hilfe und Unterstützung Dritter so auszubauen, dass sie überhaupt etwas produzieren und etwas Neues in Gang setzen können. Es gibt doch zum Beispiel unendlich viele Museen, die nicht einen Cent mehr für eine Ausstellung haben, und es ist für einen Museumsdirektor äußerst schwierig, ständig aufs Neue mit einem »beihilfefähigen« Gesicht bei privaten Dritten um Geld zu bitten und in Konkurrenz zu 37 anderen »Bedürftigen« zu treten, die auch um dasselbe Geld bitten und vor denselben Unternehmensetagen antichambrieren. Insofern ist es ein Euphemismus zu sagen, das wäre eine »Chance«. Nein, das ist bittere Pflicht und die ist vielfach nicht sehr chancenreich, denn die antragsgesättigte »Sponsorensuchaktion« ist zuweilen mehr als mühselig und bedarf höchster Frustrationstoleranz.
N.: Unternehmen geben jährlich 10 % ihres gesamten Sponsoringetats, d.h. 400 Mio. Euro, für Kultursponsoring in Deutschlandaus. Besteht die Gefahr,dass sich der Staat aus seiner kulturellen Verantwortung zurückziehen wird, wenn Unternehmen verstärkt als Sponsoren auftreten, obwohl der Staat verglichen mit den Kultursponsoringausgaben der Wirtschaft immer noch den weitaus größeren Finanzierungsanteil beiträgt?
K.: Ich weiß nicht, wo diese Zahl herstammt. Fest steht, dass das Kultursponsoring in Deutschland im Verhältnis zu Sponsoringmaßnahmen in anderen Bereichen im Grunde marginal ist. Wenn ich nur an die unendlichen Mittel für den Sport denke. Vielleicht begründet sich dieser geringe Anteil jenseits der Massensuggestion »Sport«, die die Kultur nie aufzuweisen in der Lage ist, auch in der Tatsache, dass die Kultur wie in keinem anderen Land der Welt durch den Bund, in der Hauptsache aber durch die Länder und Kommunen gefördert und finanziert wird und die Unternehmen meinen, da sei der Bedarf halt geringer, weil der »Staat« ja schließlich traditionsgemäß für die Kultur – freiwillige Leistung hin oder her – geradezustehen habe. Aber die Gefahr, dass sich die »öffentliche Hand« aus der kulturellen Verantwortung zurückziehen wird, sehe ich – von Einzelfällen abgesehen – nur sehr begrenzt. Der Gesellschaft, den Regierenden und vielen Unternehmen scheint aus meiner Sicht Schritt für Schritt immer bewußter zu werden, dass die Kultur für ein plurales Gemeinwesen, für das gegenseitige Verständnis der Menschen unter- einander eine eminente Bedeutung hat, kurz gesagt, dass Kunst und Kultur für eine Gesellschaft quasi das »Haus des Seins« bilden und bedeuten und damit die mentale Verfasstheit einer Nation erst sicherstellen.
N.: In Diskussionen mit Kulturschaffenden begegnet man leider immer noch der Befürchtung, dass sich der Sponsor in die künstlerischen Inhalte einmischen wollen könnte. Die öffentliche Hand gibt ihrem gesellschaftlichen Auftrag und mit entsprechenden Kriterien in Förderausschreibungen eine Linie vor. Welche Abhängigkeit ist größer – die vom Sponsor oder die von Förderprogrammen?
K.: Ach Gott, die Bürokratisierung alles Irdischen findet offensichtlich nie ein Ende. Sie geriert sich vielfach wie das »institutionalisierte Misstrauen« in reinster Form. Natürlich hat das Gründe, die im Missbrauch öffentlicher Mittel liegen. Aber gleichwohl: Ich empfinde die Gängelung künstlerischen bzw. kulturellen Tuns durch öffentlich-rechtliche Vorgaben zuweilen schon als sehr strangulierend. Wenn ich sehe, wie im Kulturbereich jedes gekaufte Buch und jede Premierenfeier en detail begründet und nachgewiesen werden muss, während auf der anderen Seite die Kosten öffentlicher Bauvorhaben stetig vor sich hin explodieren, ohne dass irgendeiner auch nur mit der Augenbraue zuckt, dann kann ich nur konstatieren, dass hier vielfach mit zweierlei Maß gemessen wird. Und, was Ihre Frage betrifft: Die Gängelung durch vornehmlich dienst- und haushaltsrechtliche Vorschriften scheint andererseits häufig sogar die schöpferische Kraft im Unterlaufen derselben oder in ihrer angemessen kreativen Interpretation erst richtig zu befördern oder zu initiieren. Wie heißt es so schön: Die Geschichte der Verbote ist die Geschichte ihres Unterlaufens.
N.: Sehr geehrter Herr Kauffmann, nun konkret zur im Jahr 2001 gegründeten Stiftung Schloss Neuhardenberg GmbH, deren Generalbevollmächtigter und Geschäftsführer Sie sind. Eine Stiftung kann, je nach dem welcher Zweck damit verfolgt wird, als rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts, als Treuhandstiftung, als Stiftungs-GmbH oder als Stiftungsverein gegründet werden. Aus welchen Gründen wurde die Rechtsform der Stiftungs-GmbH für die Stiftung Schloss Neuhardenberg gewählt?
K.: Die Stiftung Schloss Neuhardenberg ist eine GmbH, sie trägt als Zusatz den Namen »Stiftung«, denn der Begriff Stiftung ist nicht zwingend an das Stiftungsrecht gebunden. Der Begriff Stiftung wurde des- halb gewählt, weil ein Großteil unseres Tuns sich kulturell darstellt und das öffentliche Verständnis mit dem Begriff Stiftung weitgehend auch Kulturelles verbindet. Um diese Verbindung öffentlich deutlich zu machen, wurde der Name »Stiftung Schloss Neuhardenberg« gewählt.
N.: Die Stiftung Schloss Neuhardenberg GmbH ist sowohl für das Kulturprogramm, das Tagungsgeschehen und den Betrieb des Hotels Schloss Neuhardenberg zuständig. Das ist sicherlich eine herausfordernde Tätigkeit. Welche Vorteile sehen Sie in dieser großen Verantwortung?
K.: Nun lassen Sie mal die Kirche im Dorf, wenn Sie von »Herausforderung« und »großer Verantwortung« sprechen: Ja, wir arbeiten hart, und wir haben auch eine Verantwortung. Aber, die haben andere ja auch und viele viel mehr davon. Und wenn Sie nach Vorteilen fragen, so würde ich eher andersherum darauf hinweisen, dass ein Gesamtensemble von Hotel, Gastronomie, Landschaftsparkpflege, künstlerischem und wissenschaftlichen Tun nur in einer Einheit und Ganzheit stil- und profilbildend betrieben und verantwortet werden kann. Stellen Sie sich doch nur vor, in diesem Ensemble würde dem inflationären Begriff des »Outsourcing« gehorcht, also: Das Hotel und die Restaurants würden von Gruppe X betrieben, der Landschaftspark von dem Gartenbetrieb Y und die Kultur von einem Dramaturgen X und einem Impressario Y oder von einem wechseln-en Team von Kuratoren und Wissenschaftlern – mit oder ohne Lehrstuhl. Geschähe dies, hätten Sie insgesamt einen Flickenteppich vor sich, aus dem nie ein erkennbares, in sich geschlossenes und konzises Mosaik mit einem erkennbaren Profil würde. Ich glaube, dass diese Stiftung Schloss Neuhardenberg in der Struktur nur so , d. h. in der gewählten Form der Ganzheit überzeugend verantwortet wer- den kann. Sie aufzusplittern oder zu portionieren, wäre kontraproduktiv und führte nur zu innerbetrieblichen »Glaubenskämpfen«.
N.: Der alleinige Gesellschafter der Stiftung ist der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, der nach Bund, Ländern und Kommunen mit einem jährlichen Fördervolumen von rund 150 Millionen Euro der größte öffentliche, nicht-staatliche Kulturförderer in Deutschland ist. Welche Erwartungen hat Ihr Gesellschafter an die Stiftung bzw. was bieten Sie Ihrem Gesellschafter im Gegenzug für sein finanzielles Engagement?
K.: Der DSGV bzw. die Sparkassen-Finanzgruppe sind in der Tat in der Summe ihres nationalen und regionalen Engagements aus der Kultur dieses Landes nicht mehr wegzudenken. Gäbe es die Sparkassen nicht, wäre in Deutschland vieles nicht entstanden und manches schon längst gestorben. Der DSGV als Alleingesellschafter dieser Stiftung erwartet, dass wir ein Kulturprogramm bieten, das nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, dass wir in künstlerischem Tun, in Hotel und Gastronomie eine Qualität bieten, die überzeugt. Und dass wir klar und unverkennbar, aber in nicht aufdringlicher Form deutlich machen, dass wir eine Gesellschaft des DSGV sind und ohne den DSGV hier noch waste land wäre und außer dem Oder-Hochwasser hier wenig geschehen würde.
D.: Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die private Kunst- und Kulturförderung die Kunst für ihre wirtschaftlichen Zielsetzungen benutzt und dass nur die öffentliche Finanzierung den Rahmen künstlerischer Gestaltungsfreiheit bietet. Kunst und Kommerz werden oft als Gegensatz begriffen. Beweist die Stiftung Neuhardenberg das Gegenteil?
K.: Ich gehöre schon lange nicht mehr zu denen, die darin einen Gegensatz sehen und im übrigen muss man nicht so tun, als ob der Staat keine interessengeleiteten Wünsche hätte. Der Bund zum Beispiel braucht Repräsentatives in der Hauptstadt und bestimmt hier unzweifelhaft mit, was er will und was er nicht will, z. B. in einigen Vorabanteilen beim Hauptstadtkulturfonds. Das ist doch verständlich. Davon abgesehen kann ich Ihnen schon einige Geschichten erzählen, in denen der Bund seinerzeit deutlich gemacht hat, dass er »dies nicht möge« und lieber anderes wolle. Irgendwann im letzten Jahrtausend wurde mir zum Beispiel i. S. »Weimar – Europäische Kulturhauptstadt 1999« regierungsseitig vorgehalten, ich betriebe – zu Lasten Goethes und der deutschen Klassik – eine »Buchenwaldisierung« des Kulturhauptstadt-Programms. Also: Interessengeleitetes Verhalten gibt es doch überall auf der Welt. Es ist eine Frage an die jeweilige Persönlichkeit, wofür diese steht, was sie zum guten Ende überzeugend durchsetzt, und was sie sich in vorauseilender Anpassung wegglätten lässt oder eben nicht. Aber dass finanzierende oder fördernde Unternehmen hier Anlass zu Befürchtungen gäben, das habe ich einfach nicht erlebt. Diese Haltung ewiger Skepsis gegenüber Unternehmen, so wie Sie sie umschreiben und die mir eine Spätfolge der 68er Jahre zu sein scheint, habe ich nie teilen können. Mir ist in meinem Leben kein Sponsor begegnet, der sich in künstlerische Inhalte eingemischt hat. Andererseits habe ich auch keinen Sponsor mit »beihilfefähigem« Gesicht angesprochen, von dem ich meinte oder wusste, dass sein Kommunikationsziel mit der jeweiligen zu sponsernden Produktion – weil »inkompatibel« – nichts zu tun hatte. Und was die Stiftung betrifft: An dieser Stiftung wird nur deutlich, dass die programmatische Freiheit im Verhältnis zum Alleingesellschafter DSGV sehr groß ist, sie aber immer – wie alles in der Welt – an eine Qualität des Produzierten gebunden ist. Und es ist doch immer so: Freiheit verpflichtet zu verantwortlichem Tun.
D.: Am äußersten Rand der Republik, eineinhalb Stunden von Berlin entfernt, haben Sie regelmäßig ein volles Haus – und das mit Veranstaltungen, die deutlich näher an der Hochkultur stehen als an seichter Unterhaltung. Wie erklären Sie sich diesen Umstand in Ihrem Haus in Hinblick auf eine zunehmend beklagte allgemeine Verflachung der Kulturangebote?
K.: Das erkläre ich mir nur daraus, dass jenseits aller »Brot und Spiele« und diesseits aller öffentlichen Lustbarkeiten von Umzügen und Paraden aller Art über Stadtteilfeste und Freizeitparks und das ganze »Highlight- und Eventgewese« samt öffentlichem Wirkungstrinken bis zum verordneten medialen Frohsinn – es noch genügend Menschen gibt, die unter Kultur auch verstehen, nachzudenken, kritisch an den »Nägeln zu kauen«, sich streitigen Inhalten zu öffnen und vielleicht auch ein wenig konzentrierter hinzuschauen und hinzuhören. Ich meine damit vor allem die sogenannten »Schillerschen Selbstdenker«.
D.: Von einer Lesung mit Gregor Gysi und Harry Rowohlt zum Thema »Schimpfkultur in Deutschland« in der Schinkel- Kirche über die Ausstellung »UDO« bis hin zu der wirtshäusigen Theaterrevue »Denk ich an Deutschland...« reicht das Spektrum im Programm dieses Jahr. Ein Programm, das wahrlich nicht mit der Tür ins Haus fällt! Ist das Ausdruck Ihrer Freiheit als Generalbevollmächtigter einer privatwirtschaftlichen Stiftung?
K.: Nochmal, liebe Frau Dierking: Halten Sie den Ball flach. Diese Freiheit ist doch selbstverständlich. Und ich glaube nicht, dass Sie unser Programm als so »subversiv«, verfassungsgefährdend oder weiß Gott wie empfinden, dass sich daraus schon Fragen nach den »Grenzen der Freiheit« ergeben. Anders gesagt: Mich wundert, dass Sie sich über diese Freiheit zu wundern scheinen. Wären mit unserem Programm schon die Grenzen der Freiheit berührt, müßten Sie die Verfassung und mich selbst für erledigt erklären.
N.: Kunst und Kultur sind für die gesellschaftliche Entwicklung entscheidend. Sie setzen Kreativität frei, setzen Trends und treiben wichtige Entwicklungsprozesse und Diskussionen in der Gesellschaft voran. Lässt sich daher für die künstlerische Entwicklung der Stiftung Schloss Neuhardenberg eine Zukunftsprognose abgeben? Wo sehen Sie Ihr Haus in fünf und in zehn Jahren? Welche künstlerischen und gesellschaftlichen Herausforderungen könnten auf Sie zukommen?
K.: Schauen Sie sich doch nur die Ereignisse des letzten Jahres an: Der Guttenbergsche »Einzug der Plagiatoren«, Griechenland- Euro-Desaster, freidemokratischer Überlebenskampf, Libyen-Konflikt, Revolutionen in Ägypten und Tunesien, Fukushima samt anschließender deutscher entkernter Doppelrolle rückwärts... An alledem sehen Sie doch, dass eine Prognose für die nächsten fünf oder zehn Jahre gänzlich absurd wäre. Wir leben doch in einer Welt der Wandlungsbeschleunigung par excellence. Was ich mir wünschen, erhoffen und erwarten würde: Dass diese Stiftung weiterhin ein gutes Programm macht, sich den Fragen der Zeit stellt, Gefühlsimpulse und Denkzwischenfälle produziert, paradoxe Eingriffe schafft, versucht, Fragen dieser Zeit auch präziser stellen zu lernen und dabei immer wieder ein wenig versucht, den Menschen auch »mit Lachen die Wahrheit zu sagen«, sie »kritisch an den Nägeln« kauen zu lassen und damit Spuren in die Zukunft legt.
N.: In früheren Jahren waren Sie u. a. Leiter des Ministerbüros und Abteilungsleiter im Niedersächsischen Kulturministerium, später Präsident der Stiftung Weimarer Klassik. Erlauben Sie bitte zuletzt eine persönliche Frage, Herr Kauffmann. Was hat sie so daran gereizt, Ihre jetzige Aufgabe wahrzunehmen und Weimar zu verlassen?
K.: Wie Sie wissen, hätte ich in Weimar noch weitere acht Jahre arbeiten müssen. Nach einem Kulturhauptstadtjahr mit sieben Millionen Besuchern fühlen sie sich aber wie nach einer kleinen Olympiade, wie ein »gänzlich entleertes Gefäß«. Und irgendwann, nach knapp zehn Jahren weiterhin mit immer wiederkehrenden Themen der »Weimarer Identität« von Buchenwald bis Goethe, von Nietzsche bis Bauhaus, von Liszt bis Wieland und Herder, von deutscher Klassik bis zum deutschen Zivilisationsbruch umgehen zu müssen, macht im Denken erlahmen und schafft die Gefahr sich zu wiederholen. Der Reiz des Angebotes des DSGV lag darin, etwas auf der »grünen Wiese« gänzlich neu zu entwickeln, das es vorher nicht gab, also etwas Neues zu schaffen, das nicht den ausgetretenen, vorgedachten Wegweisungen eines Vorgängers zu folgen hat.
Das Interview führten Eva Nieuweboer (N.) und Diane Dierking (D.) von der Agentur Causales. Es wurde im Jahrbuch Kulturmarken 2012 veröffentlicht.