Herr Mattern, reden wir zunächst über das Neue in der kommenden Spielzeit 2012/13. Was gibt es da zu berichten?
Als „Musiktheatermann“ hat es mich bei meinem Amtsantritt im August 2008 natürlich geschmerzt, dass die Oper bei Bayer Kultur keine Rolle spielte. Mit der „Jungen Oper Leverkusen“ – einer Institution in der Institution sozusagen, deren künstlerische Leitung in meinen Händen liegt – kehrt diese wichtige Gattung nun aber endlich in unseren Spielplan zurück. Das zugrunde liegende Konzept benötigte bis zur Realisierung eine zweijährige Anlaufzeit, weil es zunächst darum ging, geeignete Partner für dieses Vorhaben zu finden. In unmittelbarer Nachbarschaft der ausgezeichneten Opernhäuser Köln und Düsseldorf galt es weiterhin, einen dramaturgisch und konzeptionell überzeugenden Ansatz jenseits des gängigen Repertoires zu finden
Wie sieht dieses Konzept denn konkret aus?
Mit l’arte del mondo unter der Leitung von Werner Ehrhardt hat Bayer Kultur ein exzellentes Orchester für das barocke und klassische Repertoire im Haus. Unsere – bisher konzertant dargebotene – Ausgrabungsreihe „Opern aus den Archiven der Welt“ in Kooperation mit dem WDR und SONY belegt dies eindrucksvoll. Außerdem darf das Bayer Kulturhaus akustisch und räumlich als geradezu idealer Aufführungsort für Opern aus diesen beiden Epochen bezeichnet werden. Es lag also nahe, diesen Repertoirebereich – unbekannte Opern des Barock und der Klassik – als Schwerpunkt unseres neuen Opernabonnements festzulegen. Des Weiteren war es unser Ziel, unser stARTProgramm auch im Musiktheater fest zu verankern und damit neben den Instrumentalisten auch junge, hochtalentierte Sängerinnen und Sänger zu fördern. Außer l’arte del mondo gibt es daher einen zweiten ganz wichtigen Partner: die Rheinische Opernakademie der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Neben dem Internationalen Opernstudio Köln, dem Stadttheater Aachen und dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen ist die Junge Oper Leverkusen ab der kommenden Spielzeit ebenfalls Mitglied in dieser vorbildlichen Nachwuchs-Akademie.
Welchen Mehrwert hat das für die Studentinnen und Studenten?
Die jungen Absolventinnen und Absolventen des Musiktheater-Studiengangs der Kölner Hochschule erhalten bei uns ab sofort die Möglichkeit, neben erfahrenen Kollegen und mit verschiedenen Instrumentalensembles, Dirigenten und Regisseuren Erfahrungen außerhalb des Hochschulbetriebs zu sammeln, sie werden – je nach Eignung – in unseren Eigen- oder Koproduktionen besetzt oder sie wirken in Koproduktionen von Hochschule und Junger Oper Leverkusen mit. Diese Aktivitäten werden in der Regel im Bereich der Kammeroper des 20. und 21. Jahrhunderts als zweitem Repertoireschwerpunkt angesiedelt sein. Also auch hier Unbekanntes, neu oder wieder zu Entdeckendes statt allseits bekanntes Repertoire. Daneben bietet Bayer Kultur von Fall zu Fall auch interessante Möglichkeiten zur künstlerischen Weiterbildung an, in der Spielzeit 2012/13 etwa zwei Masterclasses mit keiner Geringeren als Edita Gruberova, die im Bayer Kulturhaus mit l’arte del mondo ein Mozart-Programm mit anschließender CD-Produktion realisieren wird.
Welche Stücke wird Ihr Publikum konkret in dieser ersten „Opern-Spielzeit“ erleben können?
In der Spielzeit 2012/13 erfährt das soeben skizzierte Konzept mit Christoph Willibald Glucks „Le cinesi“ (in der Bearbeitung von Karsten Gundermann wirken auch Darsteller und Musiker der National Peking Opera Company mit), Johann Peter Abraham Schulz’ „Peters Bryllup“ (in Kooperation mit den Musikfestspielen Potsdam-Sans - souci), dem konzertanten Mozart-Abend mit Edita Gruberova sowie der zeitgenössischen Kammeroper „Leinen aus Smyrna“ des jungen Komponisten Edward Rushton in Kooperation mit der Rheinischen Opernakademie der Hochschule für Musik und Tanz Köln seine erste inhaltliche Konkretisierung. Das Abonnement ist zwar überschaubar, aber konzeptionell ambitioniert. Sie erwähnten eben auch das „stART-Programm“.
Was verbirgt sich dahinter genau?
Künstler von Renommée und Weltrang gastieren regelmäßig im Bayer Kulturhaus. Das wird auch in der Zukunft so bleiben. Gleich bei meinem Amtsantritt wollte ich dieser langjährigen, sehr beeindruckenden Tradition aber auch eine konzeptionell fundierte und auf Nachhaltigkeit angelegte Förderung des künstlerischen Nachwuchses an die Seite stellen – und zwar sowohl in der Musik als auch in den Bühnenkünsten und der Bildenden Kunst. Denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man als verantwortlicher „Kulturmacher“ verpflichtet ist, neben den großen Namen auch den Nachwuchs zu fördern. Ihr Beitrag zu diesem Thema in diesem „spezial“ geht darauf ja noch näher ein. Zurück zum Musiktheater! Sie haben in der vergangenen Spielzeit sogar eine „Kinderoperette“ uraufgeführt? Ja, und zwar mit riesigem Erfolg! „Das Gift im Lift“ – meines Wissens sogar die erste „Operette für Kinder“ überhaupt (die übrigens Kay Link im Auftrag von Bayer Kultur geschrieben hat). Ergänzend zu den Hauptproduktionen der „Jungen Oper Leverkusen“ werden wir ab und an auch neue Musiktheaterstücke für Kinder in Eigenregie herauszubringen. Die Resonanz auf „Das Gift im Lift – warum Orpheus ganz nach unten fuhr“ ermutigt uns dazu. Wenn Musiktheater für Kinder so intelligent und gelungen daherkommt wie dieses Stück nach Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, verlieren die Kinder sofort ihre Berührungsängste und gehen begeistert mit. Nur ein Beispiel: Merkur etwa düst in unserem Stück als cooler Skater auf die Bühne und Venus nervt als zickiges Girlie im Hochhaus-Loft ihre Eltern Jupiter und Juno genauso wie es die Kinder aus ihrer Lebenswirklichkeit heute kennen. Im Dezember dieses Jahres wird es eine Wiederaufnahme von „Gift im Lift“ als ein „Weihnachtsmärchen“ der ganz besonderen Art geben.
Herr Mattern, wenn ich Sie richtig verstehe, produziert Bayer Kultur also mittlerweile auch selbst?
Richtig! Generell unterscheidet man ja Theater mit eigenem Ensemble von so genannten Gastspielhäusern. Mir schwebt für die Zukunft eine Mischform vor, sozusagen ein Gastspielhaus mit stagione-Phasen, in denen die Eigenproduktionen laufen. Genau aus diesem Grund war es mir von Beginn an ein Anliegen, etwa l’arte del mondo und die jeweiligen stART-Künstler fest an unser Haus zu binden und mit weiteren ständigen Kooperationspartnern, wie etwa der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin – und ab 12/13 auch der Rheinischen Opernakademie – neben den Gastspielen auch hochkarätige Eigen- bzw. Koproduktionen auf die Bühne zu bringen. In der kommenden Saison wird das erneut eine Uraufführung sein, und zwar „Barfuß auf dem Eise“, ein Stück über Franz Schubert von Julia Riegel und Caroline Neven du Mont zu unserem Spielzeit- Thema „Innenwelten – Außenwelten“.
Sie konzipieren Ihre Spielzeiten also weiterhin themenbezogen?
Ja, wobei unsere Themen immer bewusst weit gefasst sind. Das Thema 2012/13, wie gesagt: „Innenwelten – Außenwelten“, beschäftigt sich z.B. in den Musikreihen sehr intensiv mit Franz Schubert. Im Schauspiel flankieren wir das dann mit unserer Uraufführung. Aber auch alle anderen Veranstaltungen kreisen um dieses komplexe Thema. Das ist – glaube ich mindestens – sehr spannend. Und so soll es auch in Zukunft bleiben!
Vielen Dank für das Interview, Herr Mattern.